Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 8

Von der Familie Levy wurden 500 Mark, vom Berliner Anwaltverein 5000 Mark Belohnung für Ergreifung der Täter ausgeschrieben. Die Polizei entfaltete eine fieberhafte Tätigkeit. Schon nach wenigen Tagen gelang es, die Mörder, den am 16. Februar 1880 in Berlin geborenen Arbeitsburschen Bruno Werner und den am 6. Juli 1880 in Berlin geborenen Schlosserlehrling Willy Max Grosse, zu verhaften. Die Familien der beiden jugendlichen Mörder, die den Justizrat und dessen Gattin ermorden wollten, um alsdann den Geldschrank aufzubrechen und zu plündern, wohnten in der Georgenkirchstraße 53. Die beiden Unholde waren Schulkameraden und nach ihrer Einsegnung Schreiber bei Berliner Rechtsanwälten.

Werner war vom 15. April 1894 bis 4. Januar 1896 beim Justizrat Levy, dann bis Anfang Mai beim Rechtsanwalt Golde beschäftigt, während Grosse nacheinander bei den Rechtsanwälten Feilchenfeld, Auerbach und Kurnicke beschäftigt war. Anfang Mai gaben beide ihre Stellungen auf. Werner wurde stellvertretender Bureaudiener bei der Firma Naglo, während Grosse Laufbursche wurde. Zuletzt war er als solcher in der Buchdruckerei von Hendebett in der Lindenstraße tätig und Werner in dem ganz in der Nähe belegenen Drogengeschäft von Martin. Während seiner Tätigkeit beim Justizrat Levy hatte Werner einmal dessen Schwiegersohne, Rechtsanwalt Koffka, die Gummischuhe vom Korridor gestohlen und war deshalb entlassen worden. Als er später bei Gebrüder Naglo in der Ausstellung beschäftigt war, führte er in Gemeinschaft mit Grosse einen Diebstahl in folgender Weise aus: Die automatischen Kassetten der elektrischen Rundbahn wurden abends nach Schluß des Betriebes von dazu angestellten Knaben nach einer Zentralstelle und von dort nach der Fabrik gebracht. Werner, der sich zum Mittransport erboten, gelang es, eine der Kassetten verschwinden zu lassen und dem Grosse zuzustecken, der sich mit ihr entfernte. Der Inhalt im Betrage von etwa 100 Mark wurde geteilt.

Hierauf faßte Werner den Plan, den Rechtsanwalt Golde, bei dem er früher beschäftigt war, zu bestehlen. Er wußte, daß dort die Haus- und Korridorschlüssel auf dem Telephonkasten zu liegen pflegten, und der Bureauvorsteher die Einnahmen nur einmal wöchentlich, und zwar des Sonnabends, an Frau Rechtsanwalt Golde ablieferte. Darauf baute er seinen Plan: Sein Freund Grosse sollte die Schlüssel stehlen, und Werner wollte dann mit deren Hilfe sich der Kasse bemächtigen. Am 1. Oktober 1896 klingelte Grosse an der Wohnung des Rechtsanwalts Golde und bat das ihm öffnende Dienstmädchen um die Erlaubnis, das Telephon benutzen zu dürfen. Dies wurde gestattet, Grosse simulierte ein telephonisches Gespräch und entwendete dabei die Schlüssel. Als Frau Rechtsanwalt Golde hinzukam, entfernte er sich schnell und übergab die Schlüssel dem wartenden Werner. Der Schlüsseldiebstahl war aber bemerkt worden. Frau Rechtsanwalt Golde ließ noch an demselben Tage sämtliche Schlösser ändern. Beide Angeklagte begaben sich in der Zeit vom 1. bis 9. Oktober zweimal zu der Goldeschen Wohnung; das erstemal mußten sie unverrichteter Sache abziehen, weil die Wohnung bis spät nachts erleuchtet war, das zweitemal brach bei den Versuchen, die Haustür zu öffnen, der Bart des gestohlenen Schlüssels ab.

Am Sonnabend, 10. Oktober, schlich sich Werner in aller Frühe auf den Hof des Goldeschen Hauses, um allein den Diebstahl auszuführen. Unter dem Vorgeben, er sei Glaser und solle die Fenster der Goldeschen Wohnung verkitten, bat er einen Stallmann um eine Leiter. Er erhielt diese auch und gelangte so auf die an der Wohnung entlang führende Galerie und von dort in das Bureau. Hier erbrach er den Tischkasten des Bureauvorstehers, es fielen ihm jedoch nur 2,60 Mark bares Geld und für eine Mark Paketfahrtmarken zur Beute.

Nach diesem Mißerfolge reifte in den beiden Burschen der entsetzliche Plan, einen Diebstahl bei dem Justizrat Levy, Mohrenstraße 53, auszuführen und die Levyschen Eheleute zu töten. Werner wußte, daß der Justizrat sein Geld in einem eisernen Geldschranke verwahrte, die Schlüssel dazu am Tage bei sich trug und nachts in nächster Nähe seines Lagers aufbewahrte. Die Schlüssel waren also nur zu erlangen, wenn dem Justizrat Gewalt angetan wurde. Am 14. Oktober legten beide Angeklagten ihre Arbeit nieder. Werner erhielt 6 Mark Lohn und besaß außerdem noch 1,50 Mark. Von diesem Gelde kauften sie für 5 Mark zwei gleiche schwedische Dolchmesser. Der Plan der Mordbuben ging zunächst dahin, am 16. Oktober in der Frühe an dem vorderen Wohnungseingang der Levyschen Wohnung zu klingeln, das öffnende Dienstmädchen niederzuschlagen, dann in das Schlafzimmer zu dringen und das Levysche Ehepaar zu töten. Am Abend des 15. Oktober wurde die Örtlichkeit rekognosziert, die Ausführung der Tat am 16. wurde aber vereitelt, ebenso am 17. Als sie an diesem Tage an der Levyschen Wohnung klingelten, hörten sie das Geräusch von zuklappenden Türen, sie verloren deshalb den Mut und gingen hinab, um von der Hintertreppe einzudringen. Beim Passieren des Hofes bemerkten sie auf der Galerie, die an der Levyschen Wohnung entlang führte, drei Personen. Sie gaben deshalb den Plan für diesen Tag auf und antworteten auf die an sie gerichtete Frage nach ihrem Begehr, sie brächten Papier, wollten aber des Trinkgeldes wegen wiederkommen, wenn der Justizrat da wäre.

Am 18. Oktober 1896 sind sie in aller Frühe durch das Flurfenster über die Galerie in das Schlafzimmer des Levyschen Ehepaares eingedrungen und haben kalten Blutes die furchtbare Tat begangen, deren Opfer der alte Justizrat wurde, während Frau Justizrat gleichfalls bedenklich verwundet, aber durch ärztliche Kunst wiederhergestellt ward. Durch das Geschrei der Frau Justizrat wurden die beiden Mörder in die Flucht getrieben. Grosse lief nach der Friedrichstraße zu, Werner in der Richtung nach dem Kaiserhof. Da er Grosse hier vergeblich erwartete, kehrte er noch einmal um, um sich nach diesem umzusehen. Werner traf vor dem Levyschen Hause das Dienstmädchen laut um Hilfe rufend; er fragte es, was passiert sei, worauf das Mädchen erklärte, es seien Spitzbuben im Hause gewesen, er möge einen Schutzmann holen. Werner ging darauf zur Friedrichstraße zu und traf nach kurzer Zeit mit Grosse, wie verabredet, an der Löwengruppe im Tiergarten zusammen. Grosse ließ sich in der Sanitätswache in der Steglitzer Straße seine bei der Tat verletzte Hand verbinden, dann gingen beide in den Grunewald, von dort nach Spandau, dann zurück über Wilmersdorf und Potsdam. Hier trennten sie sich. Grosse ging nach Berlin zurück, Werner war über Potsdam, Brandenburg, Genthin, Halberstadt nach Zellerfeld gewandert. Dort wurde er am 29. Oktober verhaftet, während Grosse schon am 22. Oktober in Berlin von seinem Bruder eingeliefert worden war.

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