Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 8

Vors.: Nun kommen wir zum 18. Oktober. Werner, Sie wußten, daß man sich durch das Flurfenster auf die Galerie hinaufschwingen konnte. Sie hatten dies schon zweimal getan, um ins Bureau zu gelangen, als Sie den Schlüssel vergessen hatten.

Werner: Jawohl.

Vors.: Am Morgen des 18. Oktober warteten Sie den Zeitpunkt ab, als der Bäckerjunge das Haus verlassen hatte.

Werner: Ja.

Vors.: Dann schwangen Sie sich beide durch das Fenster auf die Galerie und gingen bis zur Tür des Speisezimmers, welche, wie Sie wußten, offenzustehen pflegte. An das Speisezimmer stieß das Schlafzimmer, dessen Tür ebenfalls auf war. Sie öffneten die Tür. War es noch dunkel?

Werner: Ja.

Vors.: Konnten Sie die Personen sehen, die sich im Schlafzimmer befanden?

Werner: Nein, es war zu dunkel.

Vors.: Nun, Werner, erzählen Sie, was Sie taten, als Sie die Tür geöffnet hatten.

Werner: Eine Stimme fragte: Wer ist da?

Vors.: War es die Stimme des Justizrats oder seiner Frau?

Werner: Es war die Stimme der Frau.

Vors.: Lag sie in dem Bette rechts oder links?

Angekl.: Ich hatte geglaubt, daß der Herr Justizrat im Bette rechts lag, aber ich sah, daß wir uns geirrt hatten, im Bette rechts lag die Frau Justizrätin. Ich stürzte sofort mit gehobenem Messer auf sie los und stieß gegen sie. Wohin ich traf, weiß ich nicht. Sie sank ins Bett zurück, ich stieß noch mehrere Male nach ihr, dann ergriff ich die Flucht, da sie um Hilfe rief.

Vors.: Was machte nun Grosse während dieser Zeit?

Angekl.: Das habe ich nicht gesehen.

Vors.: Dem Richter in Zellerfeld gegenüber haben Sie sich aber viel bestimmter ausgedrückt. Sie haben damals gesagt, daß Sie gesehen hätten, wie Grosse auf den Justizrat Levy losgestochen habe.

Angekl.: Nein, so bestimmt habe ich mich nicht ausgedrückt, ich habe nur gesagt, daß ich annehmen müsse, Grosse habe auf den Justizrat eingestochen, während ich mit der Frau Justizrätin zu tun hatte.

Vors.: Haben Sie den Herrn Justizrat nicht auch gestochen?

Werner: Nein, vorsätzlich nicht.

Vors.: Ja, was soll das heißen?

Werner: Als ich den ersten Stich gegen die Frau Justizrat geführt hatte, rief sie um Hilfe, während der Justizrat von seinem Bette sich nach dem Bette seiner Frau beugte, um ihr zu Hilfe zu kommen. Es kann sein, daß ich in die Nähe ihres Kopfes und ihres Oberkörpers gekommen bin, und dabei ist denn auch möglich, daß einige Stiche, welche ich gegen die Frau Justizrat richtete, den Mann trafen. Aber ich bleibe dabei, daß ich es nicht weiß.

Vors.: Nun kommen wir zu Ihrer Tätigkeit, Angeklagter Grosse. Was taten Sie, als die Frage: »Wer ist da?« aus dem Schlafzimmer ertönte?

Grosse: Wie verabredet war, sollte ich in das linke Bett stechen, in dem wir die Frau Justizrätin vermuteten. Ich stürzte in der Dunkelheit darauf zu, ich weiß nicht, ob ich den Herrn Justizrat gestochen habe, ich bin der Meinung, daß ich auf die Frau Justizrätin gestochen habe. In der Aufregung mag es geschehen sein, aber ich weiß es nicht.

Vors.: Sie sind augenscheinlich bestrebt, die Stiche, die dem Justizrat zugefügt sind, einer dem anderen in die Schuhe zu schieben, aber ich kann Ihnen sagen, daß das für die Strafabmessung ganz gleichgültig ist. Sie haben beide gemeinschaftlich gehandelt, Sie mußten und wollten geplanterweise das Ehepaar ermorden, um in den Besitz der Schlüssel zu gelangen und alsdann den Diebstahl ausführen zu können. Werner, sehen Sie das nicht ein?

Angeklagter Werner: Ja.

Vors.: Und Sie, Grosse, wollen Sie nicht lieber einräumen, daß Sie bewußterweise gegen den Herrn Justizrat die Stiche führten?

Grosse: Ich muß dabei bleiben, daß ich glaubte, die Frau Justizrat vor mir zu haben.

Vors.: Faßten Sie nicht früher den Plan, sich bei der Tat mit Revolvern zu versehen?

Werner: Ja, aber wir wollten sie nur zur Verteidigung benutzen. Erst wollten wir das Dienstmädchen, das uns öffnen sollte, niederstoßen, aber dann kamen wir zu der Ansicht, daß wir uns den Mord des Dienstmädchens ersparen könnten. Wir nahmen dann den Weg durch das Fenster über die Galerie und flohen auf demselben Wege.

Vert. Rechtsanwalt Hoffstädt: Ich frage, ob es richtig ist, daß Werner durch seine Tätigkeit bei Rechtsanwälten ganz genau darüber informiert war, daß beide infolge ihrer Jugend nicht zum Tode verurteilt werden können. Er soll erst nach der Tat den Grosse in dieser Beziehung unterrichtet haben.

Vors.: Werner, Sie haben doch ganz genau gewußt, daß Sie bei Verübung eines Mordes nicht vor die Geschworenen gestellt und nicht zum Tode verurteilt werden können?

Werner: Das war mir bekannt, Grosse wußte es auch ganz genau.

Grosse: Das ist nicht wahr.

Werner: Gewiß. Grosse sagte, geköpft werden wir nicht. Wir sind in jugendlichem Alter, und da wird es heißen, es gibt mildernde Umstände und höchstens 15 Jahre Gefängnis.

Grosse: Das ist nicht wahr.

Vors.: Werner, Sie haben einmal in der Voruntersuchungsuchung gesagt, daß Sie den Mord nicht ausgeführt haben würden, wenn für Sie Todesstrafe in Betracht käme.

Werner: Das lasse ich dahingestellt.

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