Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 2

Das alte Leid mit der Spielstärke

Zur diskutierten Ratingproblematik

… Unter den bisher namhaft gemachten Spielern, die um 1839 alle in Berlin versammelt waren, bestand damals wenig Unterschied, indess pflegten doch Schorn‘s oft absichtlich incorrecte Eröffnungen, ungeachtet ihrer geistreichen Fortsetzungen, ihn auf die Dauer gegen die theoretischeren Gegner in Nachtheil zu bringen. Im Blumengarten, welchen Schorn während seiner übrigens nicht langen Anwesenheit in Berlin nur selten besuchte, wurde gleichmässiger als auf dem Café in der Königsstadt gekämpft. Bledow, Hanstein, Mayet, Bilguer und ich standen einander an Stärke sehr nahe. Im Ganzen mochte wohl Hanstein, selbst vor Bledow, den Vorzug verdienen, jedoch zeigte sich selten zwischen zwei Spielern in einer Reihe von Partieen ein grösserer Unterschied als etwa sechs zu fünf, und selbst dieses Verhältniss kehrte sich dann öfters wieder um*). Ein Versuch zu einem bestimmteren Resultate aus einer grösseren Anzahl von Partieen zu gelangen, blieb ohne Erfolg, indem die verabredete Zahl von 50 Spielen weder von Bilguer noch von Bledow mit allen anderen Spielern beendet wurde, und die Anfänge der Listen auffallende Anomalien aufwiesen. Als solche bezeichnen wir den Umstand, dass z. B. Bilguer gegen Mayet beträchtlich im Nachtheil war, aber zugleich gegen Hanstein und Bledow genau ebenso viele Spiele gewonnen als verloren hatte, während Hanstein hinwieder sich gegen Mayet im Vortheil befand.

Der Verein der fünf befreundeten Spieler des Blumengartens versuchte auch, auf dem Gebiete der Theorie gemeinsame Leistungen zu schaffen. Er besprach sich deshalb am 15. Mai 1839 über ein von Mayet für seine Thätigkeit redigirtes Programm und wählte als erstes Thema der Untersuchung den Anfang 1. e2-e4, e7-e5; 2. Sg1-f3, f7-f5, dessen Combinationen dann in wöchentlichen Zusammenkünften analysiert wurden. Die Ergebnisse der Forschungen, an denen sich Hanstein besonders thätig betheiligt hatte, findet man in dem zweiten Abschnitte des Bilguer’schen Handbuches niedergelegt. Fernere Arbeiten wurden durch Mayet‘s und meine zeitweise Entfernung sowie dadurch gehindert, dass Bilguer seine Aufmerksamkeit gänzlich auf die Vorbereitungen zum Handbuche richtete.

*) Die nachher mitzutheilenden Partieen können aber für das angedeutete Verhältniss nicht als Maassstab dienen, da sie unter Spielen ausgesucht sind, die gewöhnlich denen günstig waren, welche dieselben notirten. Die von den Aufzeichnern verlorenen Partieen fehlten fast ganz in den berühmten Sammlungen, die hauptsächlich von mir selbst und von Hanstein herrühren. Dieselben scheinen deshalb für die andern Spieler besonders nachtheilig.

Quellen:

Tassilo von Heydebrand und der Lasa, Meine Erinnerungen aus dem früheren Berliner Schachleben, Teil 2, Schachzeitung herausgegeben von der Berliner Schachgesellschaft, Verlag Veit & Comp., Berlin, Mai 1857, S. 149-151 (http://www.google.de/books?id=ba1AAAAAcAAJ&hl=de)

und

TvHudL, Berliner Schach-Erinnerungen nebst den Spielen des Greco und Lucena vom Herausgeber des von Bilguerschen Handbuches, Verlag Veit & Comp., Leipzig, 1859, S. 21-22. (http://www.google.de/books?id=01dAAAAAYAAJ)

Anm.: Unterstreichung von mir. “Der Bilguer” setzte als Eröffnungsleitfaden Maßstäbe bis ins 20. Jahrhundert. Komplizierteste Kombinationen und im Handbuch enthaltene Analysen beruhten dabei oft auf mehreren Partien eines Spielabends!
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