Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 4

Eine neue “unsterbliche”Partie

gespielt zwischen G. E. Lessing und M. Mendelssohn.

Motto: Der Wille und nicht die Gabe macht den Geber.

Nathan 3. Aufz. 10. Auftr.

Gotthold Ephraim Lessing
Gotthold Ephraim Lessing, ca. 1767-1768,
Quelle: Wikipedia
Moses Mendelsohn
Moses Mendelssohn, 1768,
Quelle: Wikipedia

“Du schüttelst den Kopf, geliebter Leser!

Eine Partie zwischen den beiden großen Denkern Lessing und Moses Mendelsohn? Nimmermehr! – Und doch ist es so. Denn von niemand andern als von diesen beiden hat uns der Zufall eine solche erhalten. Der Zufall? “Das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der Sonne ist Zufall!” (Emilia Galotti 4. Aufz. 5. Auftr.)
Dass der Spieler der neueren Tragödie und Komödie mit dem bekannten Philosophen Mendelssohn – dem Grossvater des Componisten – und Verfasser des “Phädon” manche Stunde am Schachbrette sass, opinor Omnibus et lippes notum et tonsoribus esse. Dass namentlich Ersterer sich auf dieses königliche Spiel ebenso verstand, wie auf die dramatischen Grundsätze, zeigt deutlich Nathan 2. Aufzug, 1. Auftritt. Dieser Scene verdanken wir auch die Entzifferung der folgenden Partie. Das kam so:
Mit einer kritischen Arbeit über “Minna von Barnhelm” beschäftigt, hielt sich der Schreiber dieses in den 80-ziger Jahren längere Zeit in Berlin auf, um zu diesem Zweck die Originalhandschrift dieses Stücks zu vergleichen, was von dem Besitzer, dem Herrn Stadtgerichtsrath L. in zuvorkommendster Weise gestattet wurde. Da fand sich nun zwischen pag. 24 u. 25, enthaltend den 4. Aufzug 1. u. 2. Scene, ein Stück vergilbtes Papier, das bisher unbeachtet blieb, weil es mit der “Minna” in keinem Zusammenhang zu stehen scheint, aber doch die bekannten Züge Lessings – nur ziemlich flüchtig – zeigt. Es ist eine bunte Reihe von Buchstaben u. Zahlen, am Kopf L.-M. überschrieben. Ich versuchte mein Glück, das Rätsel zu lösen und kam nach langen vergeblichen Versuchen, mich an die erwähnte Scene des “Nathan” erinnernd, nun endlich auf die sonderbare Idee – eine Partie Schach herauszufinden. Ich probierte, und mit vieler Mühe glaube ich eine Bestätigung für die Richtigkeit dieses Einfalls gefunden zu haben. Die ominösen Zeichen L.-M. scheinen ebenfalls darauf hinzuweisen, wobei ich mit der Deutung Lessing – Mendelssohn nicht fehlgegriffen zu haben mir schmeichle. Aus dem Umstande, dass das Manuskript in der “Minna von Barnhelm” sich fand, liesse sich vielleicht auch eine ungefähre Zeit fixieren, wann die Partie gespielt wurde, unter der Voraussetzung, dass von Lessing selbst die Aufzeichnung aus Zufall in jene Handschrift gebracht worden sei. Bekanntlich wurde “Minna” bereits 1765 in Berlin abgeschlossen, aber erst 1767 veröffentlicht, so dass also in diese Zeit die Partie fallen dürfte. Doch überlasse ich die Untersuchung hierüber einer berufeneren Feder.”

(Robert Emden im Akademischen Monatsheft)

2 Gedanken zu „Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 4“

  1. Man muss nur wissen wie man auf google sucht…

    “Stadtgerichtsrat L.”:
    Gerichtsrat Robert Lessing in Berlin besass damals die “Minna”, wie Muncker berichtet.

    Quelle: Gotthold Ephraim Lessings Sämtliche Schriften. Hrsg.
    von Karl Lachmann. 3. Auflage, 1886, Auf’s neue durchgesehene und verm.
    Aufl., besorgt durch Franz Muncker, Vorwort Seite VII.

  2. Der als M. gekennzeichnete Spieler ist möglicherweise nicht Mendelssohn. Antonius van der Linde zitiert 1873 in seinem Buch “Schach bei den Juden”, S. 41 zwei Quellen die auch einen anderen Schluss zulassen:

    „Aus jüngern Jahren fallt mir ein Jude ein, Namens Michel, der in allen Dingen, bis auf zwei Elemente, verrückt erschien. Wenn er Französisch sprach, kam kein unebenes Wort über seine Lippen, und spielte er vollkommen Schach. So kommt dieser verrückte Michel (wie man ihn nannte) zum alten Mendelssohn, der sitzt und spielt Schach mit dem alten Rechenmeister Abram. Michel sieht das Spiel an. Abram macht endlich eine Bewegung mit der Rechten, um das Spiel als verloren umzuwerfen, und erhält einen derben Schlag am Kopfe, dass ihm die lose Pernicke abfällt. Abram hebt ruhig seine Perrucke auf und spricht: „Aber, lieber Michel, wie hätte ich denn ziehen sollen?“ — Lessing hat den “Vorfall im Nathan nachgebildet, und da ich auch im Zuge bin, noch Folgendes. Der eben genannte Rechenmeister Abram ist eben der, welchen Lessing als Alhafi zum Modell gehabt hat. Er galt für den grössten Rechenmeister und Sonderling, unterrichtete für wenige Groschen oder umsonst und bewohnte in Mendelssohns Haus ein Zimmer, auch umsonst. Lessing hielt viel auf ihn, seiner Pietät und seines angeborenen Cynismus wegen. “ (Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter u. s. w. her. v. Fr. W. Riemer, IV. Th. Berlin 1834 S. 137). Ueber den genannten Abraham, auch Abraham Wolf oder „Abraham Rechenmeister“ genannt, Freund Euler’s und als Mathematiker gerühmt, ist mehr bei Kayserling (Mos. Mendelssohn S. 333—5) zu lesen, wo er ein leidenschaftlicher und „Michel“ ein vorzüglicher Schachspieler genannt wird.

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