Turnierbeschreibung und Randnotizen

Dieser Bericht ist in kleinen Auszügen bereits in dem Bericht von Weiße Dame enthalten, aber viel ausführlicher. Vielen Dank an Thomas Heerde!

Das Turnier ist nun beendet, und es ist recht ungewohnt, morgens aufzustehen, ohne sich den ganzen Vormittag auf die nächste Partie und Gegner vorzubereiten, und abends ins Bett zu gehen, ohne komplexe Varianten, die kreuz und quer durchs Oberstübchen geistern …..

Besonders erwähnenswert neben der excellenten Organisation ist die angenehme Atmosphäre, die das Turnier ausstrahlt, und dies nicht zuletzt auch durch internationale Beteiligung. So hatten sich auch drei sympathische Schweden auf den Weg nach Kreuzberg gemacht. Mir haben sie ungerührt von der Berliner Gastfreundschaft gleich zwei volle Punkte abgenommen. Aber da beide Partien von beiden Seiten gut und inhaltsreich gespielt wurden (erstere stellte ich nach hartem Kampf in ausgeglichener Stellung in Zeitnot einzügig ein, aber dies sollte zum Glück entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten mein einziger schwerer Fehler im Turnier bleiben), und in der zweiten erwies sich die Strategie meines Elo 2225 Gegners als weitsichtiger) waren diese Partien und die gemeinsame Analyse lehrreicher als einige meiner Gewinnpartien.

Man hat in Berlin auch nicht alle Tage die Möglichkeit die Spielkunst von gleich 4 GMs/IMs und mehrere FMs an den vorderen Brettern zu bewundern und ihren Analysen zu lauschen. Womit wir bei meinem Hauptfazit wären: Ich bin angenehm erschöpft und sehr zufrieden und spiele nächstes Jahr auf jeden Fall wieder mit, denn unabhängig vom erzielten Ergebnis in Punkten (5,5 aus 9 und 18 DWZ Punkte plus) war es meine Motivation, über Schach zu lernen, soviel es nur geht, und dies war hier wahrlich bestens möglich.

Randnotizen: Atila Figuras Ergebnis von 6 aus 9 klingt auf den ersten Blick nicht besonders beeindruckend für einen Spieler seiner Klasse, aber bei näherem Hinsehen ergibt sich ein differenzierteres Bild: Atila hat gegen alle 3 GMs und einen IM spielen dürfen/müssen. Daher hat er die höchste Buchholzwertung von allen! Niederlagen gegen die Nr 1+2 Stern und Rabiega stehen ein stark herausgespieltes Remis gegen Kalinitschew und ein noch besserer Sieg gegen Jakob Meister entgegen. Während einige andere Spieler mit 6,5 (also einem halben Punkt mehr als Atila) sogar Ratingpunkte verloren haben, konnte Atila gar 11 Punkte plus verbuchen. Dazu Glückwunsch!

Matthias Hahlbohm (DWZ ca. 2000) verlor in der 2. Runde wenig überraschend gegen GM Kalinitschew und bekam in der nächsten einen um 200 DWZ Punkte leichteren Gegner und dennoch verlor er aufs Neue. Daher musste er im Keller verbleiben und sein nächster Gegner war gar 250 Punkte leichter. Trotzdem verloren. Ein Turnier mit 3 Niederlagen in Folge zu beginnen ist nicht gerade inspirierend. Nun verfolgte ihn auch noch GM Kalinitschews Missbilligung, der, besorgt um seine eigene Buchholzwertung, Matthias regelmäßig aufsuchte, prüfend über die Schulter schaute und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, das Patzer nicht geduldet werden. Was blieb ihm also anderes übrig, als die nächsten 5 Partien in Folge zu gewinnen und das Turnier mit 6 aus 9 und einem Ratingpreis zu beenden!

Danijela von Wantoch-Rekowski (DWZ 2133) spielte ein starkes Turnier und gewann souverän die Damenwertung mit 6 aus 9. Ihre einzigen Niederlagen waren gegen einen 1 GM und einen IM! (Jakob Meister und Rene Stern) und ein Remis gegen Dirk Paulsen. Immerhin mit 200 DWZ mehr ist auch keine leichte Aufgabe. Lohn der Mühe: 20 DWZ Plus! Chapeau!

In Runde 6 lautete mein nächster Gegner Mert Acikel, DWZ von 1256. „Das wird ein entspannter und vor allem kurzer Abend“, dachte ich zuerst, doch dann: Wie kann es sein, dass so ein Spieler genauso viel Punkte hat wie ich? Doch mal lieber in der Fortschrittstabelle nachgeguckt, und siehe da: Er hatte schon sowohl einen 1700er als auch einen 1800er (!) geschlagen und gegen 1777 Remis. (In der nächsten Runde machte er ein weiteres Remis gegen einen 1800, indem er ein total verlorenes Turmendspiel so hartnäckig weiterspielte, dass der Gegner den Gewinn verdarb) Das war also eine jener Partien, wo ich wenig zu gewinnen, aber alles zu verlieren hatte. Wenigstens war ich vorgewarnt und am Brett entsprechend auf der Hut. Es stellte sich heraus, dass Mert Acikel ein sympathischer Jugendlicher von gerade einmal 11 Jahren ist, der – wie ich später erfuhr – erst seit einem Jahr (!) Schach spielt! Wir machten also unsere Eröffnungszüge und wieder staunte ich nicht schlecht: Er schien die Hauptvariante Pirc gut zu kennen, die Züge kamen ohne Zögern und das ziemlich weit bis ins Mittelspiel, bevor er anfing nachzudecken.

Später stellte sich heraus, er hatte sich meine Partie gegen Fabian Jahntz (DWZ 2161, gesamte Partie, Vorteil für mich aber Remis) angeguckt und entsprechend vorbereitet. Nachdem er zwischenzeitlich sogar leicht besser stand, übernahm ich langsam die Kontrolle, aber er versuchte, mit allen Mitteln gegenzuhalten und Gegendrohungen zu entwickeln. Als klar wurde, dass er die Partie verlieren würde, kämpfte er mit Tränen in den Augen fast bis zum Matt weiter, denn wie er später sagte: Er gäbe „nie seine Partien auf“! Im Übrigen wolle er „Großmeister werden“! Wie viele 11-Jährige kennt ihr, die nach einem Jahr Schach spielen sich auf jede Partie gewissenhaft vorbereiten, bis zum Umfallen kämpfen, Gegner mit 700 bis 800 DWZ mehr schlagen, 179 eigene DWZ-Punkte in einem Turnier dazugewinnen und ansonsten ganz normal und sympathisch sind? Nun liebe Leser, diesmal bin ich noch einmal davongekommen, aber ich wünsche keinem von euch das Pech, in ein, zwei oder höchstens 3 Jahren gegen ihn spielen zu müssen … Ich jedenfalls werde gleich erst einmal eine ernsthafte Trainingseinheit einlegen, um mich für diesen Tag zu wappnen!

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