Aus Berlin. Justizrath M. Levy, seit 20 Jahren Mitglied der Berliner Schachgesellschaft (gegr. 1827), ist am 18. October, Morgens 6 Uhr in seiner Wohnung, Mohrenstr. 53, im Schlafe ermordet worden. Er war früher Präsident der Gesellschaft und hat sich o. a. das Verdienst erworben, deren Geschichte auszuarbeiten und im Jahre 1887 gelegentlich der Feier des 60jährigen Bestehens der Gesellschaft hierüber einen interessanten Vortrag zu halten. Levy besass eine bedeutende Stärke im praktischen Spiel und hatte sich noch kurz vor seinem plötzlichen Tode damit beschäftigt
Deutsche Schachzeitung 1896, Ausgabe November, S. 347
Die Täter wurden ermittelt und im folgend beschriebenen Prozess verurteilt.
Die Ermordung des Justizrats Levy
Die Weltgeschichte berichtet über so viele Mordtaten, daß es fast den Anschein gewinnt, als sei sie mit Blut geschrieben. Selbst die Bibel beginnt mit der Erzählung eines Brudermordes. Mit dem Fortschritt der Kultur haben zweifellos die schwersten Verbrechen, die das Strafgesetzbuch kennt, bei allen Kulturvölkern eine wesentliche Verringerung erfahren. Menschenleben werden im allgemeinen höher geschätzt als in der Vorzeit. Nur Leuten, die auf der Stufe tiefster sittlicher Verworfenheit stehen, ist das Verbrechen des Mordes zuzutrauen. Der Berichterstatter, dessen Beruf es erfordert, jahraus, jahrein in den Gerichtssälen zu verkehren, ist, wie ich schon einige Male ausgesprochen habe, selbst gegen die ärgsten Verbrechen etwas abgestumpft. Ich habe während meiner langjährigen Berufstätigkeit so vielen Mordprozessen beigewohnt, daß mich selbst die
Taten des Raubmörders Sternickel
kaum außer Fassung gebracht haben. Als jedoch am Sonntag, den 18. Oktober 1896 die Welt die Schreckenskunde durcheilte:
Justizrat Levy sei am frühen Morgen in seiner Wohnung ermordet
worden, da durchzuckte selbst den abgestumpftesten Kriminalisten ein panischer Schrecken.
Justizrat Levy war 1833 in Wollstein, Provinz Posen geboren. Er war zunächst Rechtsanwalt in Fraustadt. 1872 siedelte er nach Berlin über und wurde nach einigen Jahren Rechtsanwalt und Notar am Kammergericht. Er gehörte zum Vorstand der Anwaltskammer der Provinz Brandenburg, war Mitglied der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages und Vorsitzender des Berliner Anwaltvereins. Seine Klientel schätzten den sachkundigen und erfolgreichen Mandatar, dessen Praxis eine der glänzendsten Berlins war, ungemein hoch. Auf dem Deutschen Juristenlage nahm Levy durch seine zahlreichen Gutachten und Referate eine hervorragende Stellung ein.
Er beabsichtigte, einen Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu schreiben, an dessen Entstehen er den lebendigsten Anteil genommen hatte. Er veröffentlichte eine Anzahl populärer Artikel über diese Materie in der »Nation«, während fachwissenschaftliche Abhandlungen kleineren Umfanges häufig in der »Deutschen Juristenzeitung« von ihm erschienen.
Justizrat Levy genoß eine außerordentliche persönliche Beliebtheit. Wo der schlanke kleine Herr mit dem geistreichen freundlichen Gesicht erschien, wurde er schnell zum Mittelpunkt der Unterhaltung, und in liebenswürdiger Art liebte er es besonders, mit jüngeren Kollegen, deren Förderung nach jeder Richtung tung er sich besonders angelegen sein ließ, zu scherzen. Seine Passion war das Schachspiel, dem er sich aktiv oder als Zuschauer in dem damaligen Café »Kaiserhof« häufig widmete. Dort traf er noch am Freitag vor dem Morde, nach der Feierlichkeit zu Ehren des fünfzigjährigen Dienstjubiläums des Kammergerichtspräsidenten Drenkmann, mit einer größeren Zahl von Kollegen zusammen, und seiner Art getreu, hatte er bald ein humoristische Gespräch in Gang gebracht. »In sieben Jahren feiere ich mein fünfzigjähriges Dienstjubiläum,« sagte er bei dieser Gelegenheit zu einem jüngeren Anwalt, der ebenso als geistreicher Festredner, wie als erfolgreicher Mandatar bekannt war, »da müssen Sie für eine schöne Rede sorgen.« Daran knüpfte sich eine ernste Erörterung der Ziele, die sich Justizrat Levy in seiner literarischen Tätigkeit noch gesteckt hatte, und er versprach den anwesenden Freunden, ihnen schon in den nächsten Monaten die erste Lieferung seines beabsichtigten Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu übersenden. »Denn Montag fange ich wieder einmal tüchtig zu arbeiten an.«
Diese Absicht des trefflichen Mannes, deren Verwirklichung zweifellos sowohl der wissenschaftlich wie der praktisch tätigen Juristenwelt von größtem Nutzen gewesen wäre, war durch ein ruchloses Bubenstück in entsetzlicher Weise vereitelt worden.