Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 8

Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Hoppe folgendes Urteil: Die Angeklagten sind sowohl der ihnen zur Last gelegten Diebstähle als auch des gemeinschaftlichen, teils vollendeten, teils versuchten Mordes für schuldig befunden und deshalb zu der höchsten zulässigen Strafe von je 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht hat angenommen, daß die Angeklagten nach einem sorgfältig vorbereiteten Plane ihre Mordtat ausgeführt haben. Sie wollten stehlen und wußten, daß sie, um den Diebstahl ausführen zu können, morden mußten. Mit größter Sorgfalt haben sie den Plan bis in die Einzelheiten gemeinsam beraten und die Rollen verteilt. Jeder wollte die Tat des anderen als seine eigene betrachten, beide haben somit im bewußten Zusammenwirken gehandelt und deshalb die Folgen des gemeinsamen Handelns zu tragen. Unzweifelhaft hat den beiden Angeklagten die erforderliche Einsicht bei Begehung der Tat innegewohnt. Das geht schon daraus hervor, daß sie sich voll bewußt waren, welche Strafe ihnen im schlimmsten Falle bevorstand. Bei der Strafabmessung ist berücksichtigt worden, daß hier ein Verbrechen mit seltenem Raffinement ausgeführt worden ist, und daß sich der verbrecherische Willen der Angeklagten in einer ausnahmslosen Hartnäckigkeit dokumentiert hat. Von einem »Dummenjungenstreich« kann man angesichts einer solchen wohlvorbereiteten Tat nicht sprechen. Daß die Angeklagten keine berufsmäßigen Verbrecher sind, soll zugegeben werden; dies fällt aber wenig ins Gewicht, denn die Statistik hat ergeben, daß gerade bei Mördern die Täter selten berufsmäßige Verbrecher sind. Eine schwerere Tat als die vorliegende ist kaum zu denken, es mußte deshalb das höchste Strafmaß zur Anwendung kommen. Dabei hat der Gerichtshof nicht zu fragen und zu prüfen, ob das bestehende Gesetz praktisch ist oder nicht, sondern er hat es anzuwenden. Um aber die Sühne zu erreichen, die nach dem bestehenden Gesetze möglich ist, mußte auf die höchste zulässige Strafe erkannt werden.

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie sich bei dem Urteil beruhigen wollten, erklärte Werner mit lauter und fester Stimme »Jawohl.« Grosse, der während der Ausführungen des Staatsanwalts wiederholt geweint hatte, erklärte sich gleichfalls zum Antritt der Strafe bereit. Beide wurden alsdann abgeführt.

Quelle: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung. 1911-1921, Band 9, S. 197-216.

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Andreas Lange

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