Berliner Schachgeschichte(n), Ausgabe 8

Es nahm darauf das Wort Staatsanwalt Müller II: Es ist eine ganz außerordentliche Tat, die heute dem Urteile des Gerichtshofes unterbreitet worden ist. So kurz die Verhandlung gewesen ist, so hat sie doch ein Bild außerordentlicher sittlicher Verkommenheit zweier kaum dem Knabenalter entwachsenen Burschen entrollt. Es ist ein trostloses Bild, zu sehen wie Leute in diesem jugendlichen Alter im Strudel der Großstadt von Fehl zu Fehl getrieben werden, lediglich aus Geldsucht, lediglich in dem Hange, auf jeden Fall sich Geld zu verschaffen. Die beiden Angeklagten sind Menschen, die nirgends bei ehrlicher und ruhiger Arbeit ausharrten, sondern nur die Erwägung mit sich herumschleppten, was und wie sie wohl mehr verdienen könnten. Neben diesem Bild der Verwahrlosung ist es auch tieftraurig, zu sehen, wie diese halbwüchsigen Burschen kalt und gefühllos in ein glückliches Familienleben eingriffen. Die Angeklagten haben wie die Bestien gehandelt. Sie haben einer Frau ihr ganzes Glück geraubt und einen Mann hingeschlachtet, der eine Zierde seines Standes war, auf der höchsten, glänzendsten Höhe der Wissenschaft stand und gerade zur Zeit der Tat wieder eine wissenschaftliche Arbeit vor sich hatte. Die beiden Angeklagten haben die Ruhe und den Frieden des Hauses nutzlos gestört und sind mit höchster Frivolität eingebrochen in das Glück einer ganzen Familie. Die Tat, um die es sich heute handelt, hat in allen Kreisen die ungeheuerste Aufregung verursacht, welche noch bedeutend wachsen mußte, als man sah, daß so jugendliche Leute fähig waren, eine solche entsetzliche Tat kalten Blutes zu begehen. In der Öffentlichkeit ist im Anschluß hieran die Frage diskutiert worden, ob die gesetzliche Sühne der Schwere der Tat entspricht. Wenn man hört, daß diese jungen Burschen sich ganz klar darüber waren und diese Klarheit schon beim Ausbrüten des Planes in die Wagschale warfen, nämlich, daß ihnen höchstens 15 Jahre Gefängnis in Aussicht standen, so kann man sich in der Tat fragen, ob die Sühne genügt und ob solche Burschen nicht eine Strafe verdienen, die täglich und stündlich ihnen fühlbar zum Bewußtsein bringt, was es heißt, einen Menschen zu töten. An Gerichtsstelle dürfen aber solche Erwägungen, so berechtigt sie auch erscheinen mögen, nicht Platz greifen; hier darf nur das Gesetz gelten und die Strafe erkannt werden, welche das Gesetz bestimmt. Die Angeklagten suchen die Hauptschuld sich gegenseitig aufzubürden, aber ohne Erlolg, denn sie sind beide einander würdig! Sie sind von vornherein darin einig gewesen, auf unredliche Weise sich Geld zu verschaffen, und sie haben die Konsequenzen dieser Absicht bis auf die letzte, schreckliche Höhe getrieben. Es ist schließlich ganz gleichgültig, wer den tödlichen Stich gegen den Justizrat geführt hat, es ist ganz gleichgültig, daß keiner der Täter sein will; die Ermordung des Justizrats und die Verwundung der Frau Justizrätin sind als eine Tat zu betrachten für welche beide Angeklagte gleichmäßig verantwortlich sind. Daß sie die erforderliche Einsicht besessen haben, kann gar nicht zweifelhaft sein, ja, diese Einsicht ist sogar eine furchtbare gewesen. Mit vollständig klarer Überlegung aller Konsequenzen haben sie den Plan ausgeführt und mit einer Zähigkeit verfolgt, die erstaunlich ist. Mit welcher Frivolität sie gehandelt haben, ergibt sich daraus, daß, als sie den ersten Plan des Diebstahls aufgegeben und den zweiten gefaßt hatten, Werner mit unglaublichem Zynismus sagte: »Wir können uns das Dienstmädchen sparen!« Das ist empörend und furchtbar! Mit Rücksicht hierauf gibt es nur eine Strafe: Die höchste, die das Gesetz zur Verfügung hat: 15 Jahre Gefängnis. Für die versuchten und vollendeten Diebstähle beantragte der Staatsanwalt noch gegen Werner Strafen von 14 Tagen, 3 Monaten, 6 Monaten, nochmals 6 Monaten und 1 Jahr Gefängnis, gegen Grosse 3 Monate und zweimal 6 Monate Gefängnis. Da das Gesetz bestimmt, daß eine Gefängnisstrafe nicht über 15 Jahre gehen darf, so beantragte der Staatsanwalt eine Gesamtstrafe von je 15 Jahren Gefängnis und Einziehung des dem Werner gehörenden Messers.

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